| Weißt du noch, Etienne
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| Wie ich in deinem Zimmer stand
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| Den winz’gen Koffer in der Hand
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| Der meine ganze Habe barg, mit einem Gürtel meines Vaters zugezurrt?
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| Unter der schäb'gen Pappehaut
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| Hatt' ich meine Kleider verstaut
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| All meine Schätze, mein Zuhaus'. |
| Ich stellte ihn auf’s Bett und öffnete den Gurt
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| Etienne, ich war vor Heimweh krank
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| Und als das Kofferschloss aufsprang
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| Sprang auch der Ring um meine Kehle, und die Tränen schossen heiß mir ins
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| Gesicht
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| Der Junge aus dem ander’n Land
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| Der meine Sprache kaum verstand
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| Half mir beim Auspacken und lächelte und tat, als merkte er mein Weinen nicht
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| Etienne, was wäre, wenn???
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| Etienne, was wäre, wenn???
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| Weißt du noch, Etienne
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| Wie streunten wir um euer Dorf
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| Die Nägel schwarz, die Knie voll Schorf
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| Ich mehr dein Bruder als ein Gast, für eine Weile nur in deinem Elternhaus
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| Und alles, was verboten war
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| Alles, was Ärger brachte, klar
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| War unser Ding, mit jeder Strafe mehr wuchsen wir erst recht über uns hinaus
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| Nein, Strafen kümmerten uns nie
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| Uns kümmerten nur die Zizis
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| Die wir verglichen im Gebüsch neben der Schleuse hinter dem verfall’nen Haus
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| Und für vier Kaugummis, ein Bier
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| Zwei Zigaretten ließen wir
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| Schon mal die Dorfjugend zuseh’n und ernteten ungläub'ges Staunen und Applaus
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| Etienne, was wäre, wenn???
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| Etienne, was wäre, wenn???
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| Weißt du noch, Etienne
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| Du konntest mit der bloßen Hand
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| Forellen fangen, und ich stand
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| Bewundernd neben dir im Bach. |
| Und einmal hab’n wir dort den Bäcker mit der
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| Yvonne
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| Ertappt in ihrem Liebesnest
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| Und einen Sommer lang erpresst:
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| «Croissants und Schnecken, bitte sehr, und dann erfährt Madame Chapuis auch
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| Nichts davon»
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| Und dann, dann war Maryse da
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| Maryse, Maryse, wenn ich sie sah
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| Wie sich mein Herz zusammenzog! |
| Maryse, die Schönste zwischen Privas und Le Puy!
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| Manchmal hofft' ich: Jetzt sieht sie mich
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| Aber ich ahnte: Sie sah dich
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| Mit diesem strahlenden Blick, und du flüstertest: «Im nächsten Sommer küss' ich
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| sie!»
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| Etienne, was wäre, wenn???
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| Etienne, was wäre, wenn???
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| Was wäre, wenn, ja, was wär', wenn die Zeit nur einen Wimpernschlag
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| Innegehalten hätte, wenn wir nur an diesem Vormittag
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| Ein Räkeln lang getrödelt hätten in den Betten
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| Unseren Stubenarrest abgebummelt hätten?
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| Hätten wir noch in dem verbot’nen Heft geblättert
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| Hätte der Hauswart nur drei Worte mehr gewettert
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| Hätt' ich ein Fussballbild am Strassenrand gefunden
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| Hätt' ich mein Schuhband nur noch einmal zugebunden
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| Dann wär's vorbeigefahr’n an uns, das gottverdammte Motorrad
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| Das alle Träume, alle Pläne, alles Lachen totgefahren hat
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| Du bist da, Etienne
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| Du bist noch immer dreizehn Jahr'
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| Hast noch dein schönes, schwarzes Haar
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| Und deine dunklen Augenbrau’n, und ich bin alt geworden, Etienne, alt und grau
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| Man schliesst nur weg, man vergisst nichts
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| Und jeden Zug deines Gesichts
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| Seh' ich klar wie an jenem Tag, jede Bewegung Bild für Bild nur zu genau
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| Heut' Nacht bin ich in deinem Land
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| Und trink', den Blick zur Sternenwand
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| Gelenkt, dies Glas auf dich, und mir gefällt die Vorstellung, dass du dort
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| Irgendwo
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| Auf mich herabsiehst aus der Ferne
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| Von irgendwo, jenseits der Sterne!
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| A la tienne, Etienne! |
| Ich denk' an dich! |
| Mach’s gut, bis irgendwann! |
| A bientôt! |