| Der Ficus Benjamini an der schweren Eisentür
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| Steht nicht aus freien Stücken dort, er kann ja nichts dafür
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| Daß du hier in dem abgeranzten Keller warten mußt
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| Freundlich erträgt er deinen Mißmut, teilt er deinen Frust
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| Mit einem bleichen, gramgebeugten Radiologen
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| Ist er in grauer Vorzeit mal hier eingezogen
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| Es ist als stünde er schon immer dort, seit eh und je
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| Der Ficus Benjamini an der Tür zum MRT
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| Er ist die einz’ge Pflanze, die es in der Unterwelt
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| Auf Dauer mit dem Kummer und all den Seufzern aushält
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| Das ist kein Platz für zarte Gartenrosen
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| Rosen vertragen keine harten Diagnosen!
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| Das kann nur ein Gewächs, das alle Schattenseiten kennt
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| Das tapfer ist und leidgeprüft und strahlungsresistent!
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| Er kennt in dem tageslichtlosen Raum das Inventar
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| Den Schirmständer, die Zeitschriften, den Tisch, das Formular
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| Er kennt ihn, den Geruch der Angst, der an den Wänden klebt
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| Er kennt das Schwert des Damokles, das über allem schwebt
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| Er kennt die Qual der Ungewißheit und kennt die Befunde
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| Vielleicht kennt er auch schon den Tag, vielleicht sogar die Stunde
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| Er selber überlebt in ausgetrocknetem Substrat
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| Savanne, auf die es seit Jahren nicht geregnet hat
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| Nur ein paar Zigarettenkippen, hastig ausgedrückt
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| Von traurigen Gelbfingern, sind das einz’ge, was ihn schmückt
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| Eine nervös verbogne Büroklammer
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| In seinem Untersatz legt Zeugnis ab von all dem Jammer
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| Der ihn streift wie der Luftzug, wenn die Tür aufgeht, dann fällt
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| Ein Blatt auf die speckige ADAC-Motorwelt
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| Du fragst dich, warum man dich diesmal so lang warten läßt
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| Zählst die verbliebnen Blätter in dem räudigen Geäst
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| Und irgendwie erinnert dich die magere Gestalt
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| Des Ficus Benjamini ganz entfernt an einen Wald
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| Es riecht wen’ger nach Kiefer als nach Desinfektionsmittel
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| Und dann tragen die Förster hier ausnahmslos weiße Kittel
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| Und doch erinnert dich der kleine, mut’ge Baum daran
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| Daß auch auf ausgedörrtem Boden Hoffnung wachsen kann
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| Und mit seinem gerupften, demütigen Blätterkleid
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| Vermag er dich zu trösten in dieser Trostlosigkeit:
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| Du kommst hier wieder raus, wirst über dir den Himmel sehen
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| Über raschelndes Laub auf einem Waldweg gehen
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| Du wirst die Freiheit spürn, die Tür geht wieder auf vor dir —
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| Der Ficus Benjamini aber bleibt für immer hier |